Wortakrobatik

Stasi Haft 30. April 1985

Das Wochenende war ruhig.
Außerhalb meines Kopfes jedenfalls.
Innen - nicht so sehr.

Kopien aus meinen Stasiakten

Wie verhindere ich eine 5-Jahres-Anklage?
Wie schütze ich meine Familie und Freunde?
Wie lange werde ich das Schweigen aufrechterhalten?

Hier sind die unbekannten Fakten:
Ich habe ein paar Exemplare des 3-Pager-Manifests an verschiedenen Orten hinterlassen.
Am Arbeitsplatz, zu Hause und in einer Kirche in der Stadt, quasi als Zufallsfund für irgendwen.

Da ich keinen meiner Freunde kompromittieren wollte, begrub ich die Idee, einen von ihnen einzubeziehen.
Ich schickte jedoch einen versiegelten Umschlag an einen meiner Freunde und überliess es ihm, ihn zu öffnen oder zu vernichten.
Er war der einzige wirkliche Dissident, den ich vage angesprochen hatte, und er hatte aufrichtiges Interesse bekundet, eine solche Sache zu unterstützen.

Jetzt war ich mir nicht mehr so sicher, ob das eine kluge Idee war.
Für ihn und für mich.
Wir werden sehen.

Ich habe gestern damit begonnen, den Schubert-Zwillingen zu antworten.
Die Idee ist nun, zu der Drohung zu stehen, wie sie ohnehin in dem 3-Pager-Manifest dokumentiert ist.
Aber ich muss den Eindruck vermeiden, dass ich in irgendeiner Weise die Verbreitung durchgeführt habe.

Wenn das 3-seitige Manifest nicht den Weg zu einer westlichen Agentur gefunden hat, dürfte es schwer sein, das Gegenteil zu beweisen.

"Warum sprechen Sie von einer beträchtlichen Anzahl von Briefen, um 'für Freunde im Westen bereit zu sein'?"
"Ich wollte Druck auf meine Sache ausüben."
"Warum spekulieren Sie in Ihrem Dokument darüber, dass andere Ihre Aktionen nachahmen könnten?"
"Ich glaubte, dass Sie mich lieber rauslassen würden, bevor andere das Gleiche versuchen, wenn es veröffentlicht würde."

Das Wochenende hat mir beim Wortschmieden geholfen.
Ich hoffe nur, dass es jetzt vage genug ist.
"Keine aktive Verbreitung, nur Drohung".

Ausserdem muss ich meine Eltern unbedingt aus Schwierigkeiten heraushalten.
"Warum haben Sie geschrieben, dass Ihre Eltern nichts von Ihrer Aktion wissen und sie nicht gutheissen würden?"
"Sie haben nichts damit zu tun. Es ist meine Verantwortung."

Bully Schubert schliesst den Tag ab:
"Warum haben Sie nicht versucht, Ihren Wunsch vernünftig zu formulieren?"

Echt jetzt?!?
Was zum Teufel?!?!


*Zeitzeugenbericht -> Beginn. Dieser Blogeintrag ist Teil eines linear erzählten Zeugenberichts des Zeitzeugen Jens Thieme der 1985-1986 als politischer Häftling in verschiedenen DDR Gefängnissen vom DDR Ministerium für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Stasihaft, Stasi-Haft, Stasi Haft, Stasigefängnis, Stasi-Gefängnis, Stasi Gefängnis.
Jens Thieme

Playing hard, living loud, moving around fast, resting deep and enjoying it all.

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